NEU ENTDECKT: EINE SPÄTMITTELALTERLICHE BIBEL AUS DER KARTAUSE BEI CRIMMITSCHAU
Wie das Objekt des Monats Februar beispielhaft zeigt, kommt es in der Geschichtsforschung oft nur deshalb zu Entdeckungen, weil der Zufall kräftig nachhilft.
Als 1549 der größte Teil der vormaligen Wittenberger Kurfürstlichen Bibliothek (Bibliotheca Electoralis) nach Jena gebracht wurde, befanden sich in den Transportkisten und -fässern auch fünf Teilbände einer handschriftlichen lateinischen Bibel großen Formats (ca. 50 x 37 cm). Sie tragen heute die Signaturen Ms. El. f. 7-11. Eine mustergültige kodikologische und inhaltliche Beschreibung dieser Bände wurde 2002 publiziert; außerdem sind deren in der ThULB angefertigte Digitalisate im Internet frei zugänglich (vgl. Hinweise unten). Zum Zeitpunkt der Erarbeitung der Beschreibung war lediglich erkennbar, dass der vierte Band (Ms. El. f. 10) gemäß Schreibervermerk 1481 geschrieben wurde und dass die übrigen, von einem anderen Schreiber geschaffenen Bände vom Schriftstil her gleichfalls in dieser Zeit entstanden sein müssen. Hinweise darauf, an welchem Ort dies geschah bzw. wo sich die Bibel befunden hatte, bevor sie nach Wittenberg kam, gibt es in den Bänden nicht. Da die Textabfolge von der kanonischen Bibel abweicht und eine spezifisch monastische Einteilung in Lektionen vorliegt, konnte man immerhin vermuten, dass die Handschriftenbände für den liturgischen Gebrauch eines Klosters angefertigt worden sein könnten. Es fiel auf, dass die Psalmen und Evangelien fehlen. Auch war festzustellen, dass lediglich der erste Band (Ms. El. f. 7) schmuckvolle Initialen aufweist, während diese ansonsten nicht ausgeführt sind.
Kürzlich konnte ganz unerwartet geklärt werden, woher diese Bibel stammt und auf welche Weise sie nach Wittenberg gelangte. In der Bibliothek des Evangelischen Predigerseminars Wittenberg befindet sich eine Abschrift eines in Altenburg geschriebenen Briefs Georg Spalatins vom 26. Mai 1543 an Kurfürst Johann Friedrich I. Ältere Forschungsliteratur ließ vermuten, dass dieser Brief Bemerkungen zu Altenburger Klosterbibliotheken, aus denen Bücher in die ThULB gelangt sind, enthalten könnte. Bei Auswertung des Briefs fand sich das Erwartete, doch barg er noch eine Überraschung, denn Spalatin schreibt einleitend:
"Ewn. chf. Gn. schick ich unterteniger meinung hieneben den ersten teil einer lateynischen pergamenen Biblien, nemlich die fünff bücher Moise, bis uf das buch der historien, Ruth mit begriffen, stampt aus der Carthaus zu Crimmitschaw. Ist etzlich zeit zu Franckenhausen in verwarung gewest. Ich habe diser Biblien noch vier teyl und also mit disem ersten teyl fünff teyl bey mir, zween teyl aber, als nemlich die vier Evangelien und der psalter sind darvon kommen, als ich die andern fünff teyl hab holen lassen, kann auch auf gesagte erkundung nicht erfaren, wohin sie kommen. Sind auch mit solcher unordnung eingebunden, das ich dergleichen ungeordent binden von einer Biblien mein leben lang nicht gesehen hab. Und wenn diese Biblien gantz were und ordentlich gebunden, so were sie gewislich ein schöner großer schatz in Ew. H. Gn. zu Wittemberg librey oder eyn andere. Solt mir selbs nur ser lieb sein. Aber also kan sie wenig nutz seyn. Was nu Ew. H. Gn. damit schaffen, dem will ich unterteniglich nachkommen."
Spalatin schickte dem Kurfürsten also den ersten Band einer siebenbändigen Bibel, von der zwei Bände, die Evangelien und den Psalter enthaltend, allerdings abhandengekommen waren. Johann Friedrich sollte überlegen, ob die restlichen fünf Bände etwas für seine Wittenberger Bibliothek sein könnten. Ohne Zweifel handelt es sich um Ms. El. f. 7-11: Die Inhaltsangabe des "ersten teil[s]" entspricht Ms. El. f. 7, und die von Spalatin getadelte, wie gezeigt liturgisch bedingte "unordnung" der Texte passt ebenso wie das Fehlen von Psalmen und Evangelien. Der Zeitpunkt, zu dem die Bände, wie angeregt, nach Wittenberg gebracht wurden, lag folglich in der Mitte des Jahres 1543 bzw. nicht lange danach. Vor allem aber erfahren wir dank Spalatin, dass die Bibel aus der Kartause bei Crimmitschau (nördlich von Zwickau) stammt. Alles spricht dafür, dass sie auch dort entstanden ist. 1478 war das vormalige Augustinerkloster bei Crimmitschau zur Kartause umgewandelt worden. Deren Bibliothek umfasste einmal 286 Bücher (Wiemann, s.u., S. 85). Dass die Bibel in Frankenhausen "in verwarung gewest", war zweifellos bedingt durch den Bauernkrieg 1525 bzw. die Auflösung der Kartause kurz darauf. Die fünf Handschriftenbände Ms. El. f. 7-11, die aus der Gründungszeit der Kartause stammen, stehen heute als vielleicht einzig noch erhaltener Rest der Bibliothek dieses nahezu vergessenen Klosters vor uns.
Signatur: ThULB Jena, Ms. El. f. 7-11
Ansprechpartner: Dr. Joachim Ott
LITERATUR:
Harm Wiemann: Geschichte des Augustiner-Klosters St. Martin und der Karthause bei Crimmitschau, Crimmitschau 1941 (ThULB Suche)
Bernhard Tönnies: Die Handschriften der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Band 1: Die mittelalterlichen lateinischen Handschriften der Electoralis-Gruppe, Wiesbaden 2002, S. 51-55 (ThULB Suche)