BE_1028_0001.tif
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CC BY-NC-SA 4.0
Prosa-Martyrologium
Bestand:
Handschriften
Übergeordnetes Objekt:
Abstract:
Die Martyrien der Heiligen werden im Jenaer Martyrologium nicht allein in Erzählungen vergegenwärtigt, sondern auch in Bildern veranschaulicht. Jedem Tageseintrag lässt sich ein Bildstreifen zuordnen, der ausgewählte Szenen aus den jeweiligen Legenden zum Gegenstand hat. Fast jedem der 365 Tageseinträge im Jenaer Martyrologium ist eine Miniatur zugeordnet. Lediglich der Eintrag zum 17. Dezember (f. 103r-v) wurde doppelt illustriert, jener zum 30. Juni (f. 49v) hingegen - wohl aus Platzgründen - gar nicht. Ein Zusammenhang zwischen Texten und Bildern im Sinne einer Hinordnung der Bilder auf die Erzählungen ist nicht in allen Fällen zu erkennen. Das entspricht nicht moderner Erwartung. Es hat mehrere Ursachen, die zum Teil in der Geschichte der Texte, zum Teil in der Ikonographie der Heiligen begründet sind, zum Teil aber auch einer anderen Auffassung von dem, was Text und Bild gemeinsam leisten sollen, entspringen. Der Bildstreifen zur Legende des heiligen Franz von Assisi (f. 78r) z. B. zeigt zwei zentrale Ereignisse aus der Vita: die linke Szene die Vogelpredigt, die rechte die Erscheinung eines gekreuzigten Seraphs auf dem Alverna-Berg und die Stigmatisierung des Heiligen. Während die Vogelpredigt im Tageseintrag erwähnt wird, ist der Empfang der Stigmata erzählerisch nur angedeutet ('er hatte auch an seinem Körper fünf Wunden'). Der Zeichner realisierte die bedeutende Szene trotzdem. Wir wissen nicht, ob in der Vorlage ausführlicher von dem Ereignis auf dem Alverna-Berg erzählt wurde, ob der Zeichner selbständig Bildmaterial hinzuzog oder sogar auf sein eigenes theologisches Wissen zurückgriff. Bemerkenswert ist, daß die Miniatur zur Vogelpredigt bereits den stigmatisierten (!) Franziskus darstellt. Sie zeigt nicht nur die sichtbaren Wundmale an seinen Händen, auch die Seitenwunde schimmert deutlich durch die Kutte durch, obwohl die Stigmatisierung chronologisch erst später erfolgen soll. An dieser Stelle haben wir es mit einem Bild zu tun, das seinem Betrachter mehr verrät als der Text. Was einem modernen Benutzer hier inkonsequent erscheinen mag, gehört zum Selbstverständnis eines mittelalterlichen Rezipienten. Text und Bild sollen den Leser und Betrachter dazu anregen, über ihre theologische Bedeutung nachzudenken. (Irina Merten)
Folio / Seite:
1r-109v