Chorbuch 12: 7 Messen (Ordinaria) & 1 Totenmesse
Ortsbezug:
Entstehungsort:
Flandern
Bestand:
Handschriften
Datierung (individuell):
zwischen 1518 und 1520
Material:
Pergament
Besitzende Institution / Datengeber:
Signatur(en):
Chorbuch 12
Primärdaten:
Literatur:
-- Karl Erich Roediger, Die geistlichen Musikhandschriften der Universitätsbibliothek Jena, Bd. 1 (Textband), Jena 1935, S. 49-50
-- Herbert Kellmann, Josquin and the Courts of the Netherlands and France: The Evidence of the Sources, in: E.E. Lowinssky and B. Blackburn (Hrsg.), Josquin des Prez. Proceeding of the International Josquin Festival Conference, Londoin / New York 1976, S. 198-200, 209
-- Maria Kapp, Musikalische Handschriften des burgundischen Hofes in Mecheln und Brüssel ca. 1495-1530. Studien zur Entwicklung Gerard Horenbouts und seiner Werkstatt, Darmstadt 1987, S. 134-138
-- Jürgen Heidrich, Die Deutschen Chorbücher aus der Hofkapelle Friedrichs des Weisen. Ein Beitrag zur mitteldeutschen geistlichen Musikpraxis um 1500, Baden-Baden 1993, S. XVIIIf.
-- Herbert Kellmann, The Treasury of Petrus Alamire. Music and Art in Flemish Court Manuscripts 1500-1535, Gent und Amsterdam 1999, S. 101
Kodikologie:
leergebliebene folios: 17v, 32v-33r, 66v, 84r, 97v-98r, 110v-111r, 122v • kopiert von Schreiber C in der Werkstatt des Petrus Alamire (1470 - 1536) • heute umfasst der Codex drei größere Miniaturen vor der dritten, vierten und achten Messe, vor der ersten, sechsten und siebten Messe lediglich Groteskeninitialien und größere Schmuckbuchstaben, auf folio 2r und 67r befindet sich jeweils das Wappen Friedrichs des Weisen
Schriftraum:
37,5 x 54 - 54,5 cm
Zeilenanzahl:
2,4 Notenzeilen; 8-10 Notenzeilen auf der Seite
Schrift:
Noten: spätmittelalterliche Mensurnotenschrift; Text: spätgotische franzönzösische Kursive
Geschichte:
Etwa gleichzeitig mit den Chorbüchern Nr. 3 und 5 entstand die Pierre de la Rue gewidmete Messensammlung Nr. 12.
Gattung:
Lied
Format / Umfang:
122 Bl.
38,5 x 58 cm
Beschreibung:
Auch dieses Chorbuch ist nicht mehr vollständig erhalten, die Titelblätter der zweiten und fünften Messe fehlen, wurden wegen der Miniaturen herausgetrennt. Wir sehen in dieser Handschrift noch Schnittspuren auf den Blättern vor den entsprechenden Seiten, die uns zeigen, dass zunächst nicht die Miniatur selbst entfernt wurde, später, vermutlich weil die fragmentarischen Blätter den harmonischen Ablauf störten, wurden die Seiten gänzlich beseitigt.
Künstlerich gesehen bietet sich uns hier ein ebenso vielschichtiges Bild wie im Chorbuch Nr. 3, auch hier waren drei verschiedene Illuminatoren beteiligt. Beginnend mit der Betrachtung der Marienminiatur auf folio 33v: Gezeigt ist das seltene Motiv der Schutzmantelmadonna, die in einem durch das Dorsale hinter ihr fast gänzlich verdeckten Kirchenraum steht. Unter ihrem Mantel, der von zwei Engeln gehalten wird, knien die Vertreter der Stände, rechts vorne Margarethe von Österreich selbst, deren Gesichtszüge wir nach dem Porträt Bernhard von Orleys wiedererkennen können. Das weiche, volle Gesicht Mariens mit dem dichten, lockigen Haar, das locker bis auf den Rücken fällt, haben wir schon einmal gesehen: es steht in unmittelbarer Nähe zu der Himmelfahrtsmadonna in Chorbuch Nr. 3, folio 43v. Gesichtszüge und Physiognomie sind nahezu identisch, so dass wir nicht zweifeln können, in beiden Fällen denselben Meister vor uns zu haben, der beide Chorbücher vermutlich parallel ausstattete. Hier in dieser Miniatur ist es vor allem die Maria mit dem Kind, die die typischen Züge des Illuminators Gerard David trägt. Weniger sorgfältig sind - mit Ausnahme Margarethes - die Figuren der Anbetenden behandelt, Gesichter und Haare haben hier nicht den weichen Glanz, der die Madonna auszeichnet, doch sind auch diese Gesichter individuell geprägt, nicht schablonenhaft angefertigt.
Die Komposition ist streng und symmetrisch ausgebildet, durch den unterteilten Fliesenboden im unmittelabren Vidergrund wird ein großer Abstand zu den Dargestellten für den Beschauer erzeugt, der hier eine Geschlossenheit der Gruppe und somit unwillkürlich größere Zusammengehörigkeit und Schutz bedeutet. Die Strenge des Bilsaufbaus wird auch hier gelockert durch die leichte Kopfdrehung der Maria und die diagonale Haltung des Kindes, Elemente, die die eindringliche Wirkung dieser Miniatur verstärken.
Die kleinere Requiemsminiatur auf folio 111v muss mit dem weiteren Umkreis Horenbouts in Verbindung gebracht werden. Die Innenraumthematik, der Altaraufbau greifen in bescheidenem Maße auf die entsprechenden Themen Horenbouts in seinen Gebetbüchern zurück (erwähnt seien folio 55v und 75v aus dem Rotschild-Gebetbuch), der Illuminator hier reduziert die Darstellung der Totenmesse auf eine Gruppe von Pleurants und einen Priester mit einem Maßknaben hinter sich, die zu Seiten des vor dem Altar aufgebauten Sarges stehen. Perspektivische Schwierigkeiten (die Verkürzung des Sarges), sowie die völlige Eintönigkeit der Figuren und Gesichtszüge der beiden Geistlichen zeigen, dass es sich hier um die Arbeit eines unbedeutenden Werkstattgehilfen handelt.
Die Darstellung der thronenden Madonna auf folio 50v führt uns in einen andersartigen stilistischen Bereich. Dies wird bereits an der äußeren Erscheinung der ganzen Seite deutlich, die auf Randleisten verzichtet. Der kahle Gesamteindruck rührt jedoch auch daher, dass die Textierung sowie die Bezeichnung der Messe, evtl. mit Komponistennennung, hier vergessen wurde. Ungewöhnlich ist auch die Rahmung der Miniatur, die als tiefenräumlicher Altarschrein aufzufassen ist, wobei in den Gehäuseformen gotische und Renaissanceelemente verbunden sind. Weiterhin außergewöhnlich ist die farbliche Gestaltung, besonders die des Hintergrundes. Starke farbliche Kontraste und intensive fast grelle Lokalfarben bestimmen den Eindruck, der keine harmonische Geschlossenheit vermittelt.
Auf einem großen, mit Baldachin ausgestatteten Thron sitzt die Madonna, das Kind stillend. Links und rechts vor dem Thron stehen zwei Engel mit Harfe und Laute, oben am Thronhimmel schweben zwei weitere Engel. Aus der Mitte des Himmels blickt Gottvater aus einer Lichterscheinung auf Maria herab.
Die Ähnlichkeiten dieser Jenaer Miniatur zu der Brüsseler und dem Wiener Gebetbuch sind so überzeugend, dass wir nicht zweifeln können, auch in Jena ein Werk des Meisters Karl V. vor uns zu haben, der, wie zu sehen ist, ebenfalls Anregungen von Horenbouts und dessen Umkreis erhielt.